Willkommen 2023!

Auf eine gute Saison, lässige Strecken und interessante Begegnungen — Franz Kafka:

„Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt nicht dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.“

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1907, das Jahr in dem Kafka aus Třešť/Triesch an Brod

auch über das Motorradfahren schrieb (s.u.), entstand die kurze Erzählung „Der Kaufmann“:

Franz Kafka, Der Kaufmann

Hartmut Binder in Franz Kafka. Leben und Persönlichkeit:

„Im Gefolge des Polnaer Ritualmordprozess war die seit den Nationalitätenkämpfen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts versuchte Boykottierung jüdischer Geschäftsleute zu einer echten Bedrohung geworden, die auch dafür verantwortlich ist, daß in den Jahren von 1900 bis 1912 die Juden in Böhmen von 92000 auf 85000 zurückgingen.

Diese Verhältnisse sind in dem 1907 entstandenen Kaufmann greifbar, in dem überdies von ‚unzugänglichen Bevölkerungen auf dem Lande‘ die Rede ist, in denen man, nach Max Brods ansprechender Vermutung, Kunden von Hermann Kafkas Engrosgeschäft in Galanteriewaren zu sehen hat.“

Die Diskussion, welches Motorrad Kafka wahrscheinlich 1907 in Triesch fuhr, kommt nach der Winterpause im Mai 2023!

À suivre!

Eine Stimme zu Kafka aus dem Jahr 1956:

Die Romane des Österreichers Kafka sind in Österreich nicht so populär wie sonst auf der Welt. Weil Österreich keine Romane von Kafka zu lesen braucht, um sie zu erleben. Kafka scheint euch von Visionen heimgesucht; uns aber ist, als hätte er schlicht mitgeschrieben. Der Österreicher muß einfach in eine Kanzlei welcher Art immer mit einem Vorhaben welcher Art immer eintreten, er mag einen Paß oder einen Telephonanschluß beantragen, ein Paket vom Zollamt abholen, im Meldeamt einer Adresse oder an der Staatstheaterkasse eines Sitzes für ‚Fidelio‘ teilhaft zu werden wünschen, er wird in ein kafkasches System der unübersichtlich unüberwindlichen Hierarchien verwickelt werden.

Aber er wird nicht unterliegen, sondern triumphieren, nicht gerichtet werden, sondern ’sich’s richten‘, wie der Fachausdruck lautet, und das ist ein zweiter Grund, der Kafka für Österreich weniger zugkräftig macht als für die Restwelt. Kafka gibt keine Lösung. Österreich gibt sie. Kafka bleibt Fragment. In Österreich kommt man zum Schloß, man gewinnt den Prozeß oder erwirkt zumindest eine Vertagung auf unbestimmte Zeit. Man kennt einen, der einen kennt, der die Möglichkeit hat, durch einen Telephonanruf das Zauberwort auszulösen, das den Sesam an einer überraschende Stelle öffnet: Werd’n wir scho‘ machen!

Österreich, Altmeister der Bürokratie, ist immun gegen sie durch uralte Übung. Das Tor des Amts ist reine Zier – die Hintertür allein erheblich. Die direkteste Verbindung zwischen zwei Punkten ist der Umweg.

Hans WeigelO du mein Österreich. Versuch des Fragments einer Improvisation für Anfänger und solche die es werden wollen

Wir schreiben wieder …

… einmal pro Monat in der Motorradfahrsaison.

1923, ein Jahr vor Kafkas Tod, wurde bei BMW die R 32 vorgestellt.

Auf einer Schautafel bei BMW Denzel Wien Erdberg

Bei Stephen Bayley und Terence Conran (Design, 2008) ist zu lesen: „Die von Max Friz etablierte Architektur für BMW-Motorräder blieb 80 Jahre lang weitgehend unverändert.“

Ein „meisterlicher Zweizylinder-Boxermotor, der wie ein Bauhaus-Diagramm aussah und zum Standard für große Motorräder wurde.“ (ebd., wie Bildzitat unten)

Kafka schreibt dem Motorrad z.B im „Verschollenen“ (im Kapitel „Im Hotel Occidental“) eine zubringende Funktion auf der Ebene der Dienstboten zu: „Oft bedauerte er (Karl als „Liftjunge“) größere Aufträge nicht übernehmen zu können, da hiefür eigene Diener und Botenjungen bestimmt waren, die ihre Wege auf Fahrrädern, ja sogar Motorrädern besorgten, nur zu Botengängen aus den Zimmern in die Speise- oder Spielsäle konnte sich Karl bei günstiger Gelegenheit verwenden lassen.“ Kafka pointilliert hier „Fahrende“ als Erfüllung der Sehnsucht der „Stationären“, jedoch weit entfernt vom „Freien Fahren“, wie es eine R 32 im richtigen Kontext gut ermöglichte. Eine Mittellage wären die Reiseenduristen, die über den Winter ihre Touren mehr oder weniger detailliert ausarbeiteten, um sie dann abzufahren.

2021 müssen wir pausieren …

der Blog kann wahrscheinlich erst wieder 2022 starten, wenn er zu diesem Zeitpunkt wieder finanziell fundiert sein wird – bis dahin aus Choppertown: The Sinners (2005) –

„Riding a bike … it’s a thing of beauty“

„The noise, the feeling of a motorrcycle“

„No cellphones, no television, just you and your bike“

„You just ride“

Zum Saisonende: DODERER & Indian

„Alles blieb ungetan. Sie flogen auf Zdarsa’s Indian-Rößlein dahin. Der Zugwind war schon recht frisch, aber die warmen Wämser, die Niki und Leonhard sich angeschafft hatten, schützten gut, ebenso Hauben und Brillen, die den oberen Teil des Gesichtes ganz bedeckten. Die stabile Maschine legte sich gleichsam tief in die Straße, die ständig durch’s wachsame Auge lief, während alles links und rechts von ihr als verschwomnener grün-grauer Schleier zurückwehte, mit langen, weißen Strichen da und dort: nirgends fehlten im Burgenlande die freundlichen Prozessionen der Gänseherden, auf die man ständig und gerne einen im Grunde doch kulinarischen Seitenblick des Wohlgefallens tut […].“

Heimito von Doderer, Die Dämonen

À suivre!

R. Menasse – Café Kafka

„Er ging ziellos, schaute ab und zu in die Auslagen, erblickte aber immer nur sein bleiches Gesicht mit der großen schwarzen Brille und dem weißen Haar, das wie elektrisiert vom Kopf abstand. Er kam in die Rue Poissoniers, sah dort an der Ecke ein Kaffeehaus, Café Kafka, fand das sinnig und kehrte auf ein Glas ein.“
Robert Menasse, Die Hauptstadt. Roman, 2017